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Eva Sattelmayer, literaturkritik.de, 5/2002, 01. Mai 2002 Flügelleichte Kleider
Xu Peis Vorliebe für Schuhe aller Art
»Mit kalten Füßen/ gehe ich/ auf die Suche/ nach neuen Schuhen«. Reiseschuhe, Spitzenschuhe, Samtschuhe, Straßenschuhe, Hemmschuhe, Frauenschuhe, Schlittschuhe, chinesische Schuhe, bestickte Seidenschuhe, drückende Schuhe und rote Tanzschuhe sind Thema des neu erschienen Gedichtbandes von der in Köln lebenden chinesischen Lyrikerin Xu Pei. Schuhe sind in Xu Peis Gedichten ein Ausdruck verschiedener Identitäten. Genau wie man sich andere Schuhe anziehen kann, kann man auch seine Identität ändern. Das Annehmen von verschiedenen Rollen kann wie ein Spiel gesehen werden: »Ich gehe über den Laufsteg/ und trage bei jedem Gang/ neue bestickte Seidenschuhe«, oder auch als Möglichkeit zum Neuanfang: »Ich poliere ihre Schuhe/ und gehe mit ihnen/ auf eine Weltenbühne«.
Xu Pei, die vor 13 Jahren nach Europa kam, spricht in ihren Gedichten vom Taoismus, von Propagandatänzen und Kampfliedern in der Kindheit, von einer weisen Großmutter, die nicht lesen und schreiben konnte, von einer Braut mit Lotosfüßen und der Sehnsucht zu reisen. »Lotosfüße« ist auch der Titel des Gedichtbandes und erinnert an die fremde Welt, aus der die Dichterin kommt, und in der es zur Zeit ihrer Großmutter üblich war, die Füße der Mädchen zu bandagieren. Der abendländische Nietzsche, der am Anfang des Buches zitiert wird, wusste schon: »Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füßen.«
Immer wieder findet man in den Gedichten die Zerissenheit zwischen der Heimat und dem moderenen Westen wieder. »Leichtbekleidet/ stelle ich mich vor einen Magier/ und bin bereit zersägt zu werden«. Auch Sprache kann Heimat sein. Pei schreibt auf deutsch, chinesisch und in anderen Sprachen. »Meine Pagode aus Buchstaben/ entsteht in einem fremden Wörtersee«.
Die Gedichte von Pei werden durch sechs farbige Radierungen von Georg Baselitz illustriert. In China sind seit Jahrtausenden Schrift- und Zeichenkunst vereint. Die schöne Edition des Gedichtbandes erzeugt Leselust.
Besonders eindringlich weiß Pei die Liebe und all ihre manchmal paradoxen Formen zu beschreiben. Da ist die Angst vor Nähe, »die Minen der Verteidigung«, die man zum Schutz besitzt, und auf der anderen Seite die Furcht vor zuviel Distanz, »Die Entfernung zwischen dir und mir/ maß ich täglich/ mit eigenen Füßen«, neben dem Bedürfnis zu teilen, »Kaum tratest du näher/ ging mein Tor von alleine auf«. Es gibt die Angst vor Verletzungen, die »flügelleichten Kleider«, die am Boden liegen und nicht zertreten werden dürfen, und den Schmerz nach Verletzungen: »Barfuß lief ich über deine Wiese/ und trat auf einen Igel«. Pei schreibt auch über das Glück der Vereinigung, »Um frei/ in deinen Sommeraugen/ zu schwimmen/ sprang ich nackt hinein« und die Leere nach dem Verlassenwerden: »Im eisigen Windzug/ entfernte er sich/ und ließ mich wie nackte Bäume stehen«. Auch hier taucht das Motiv der Schuhe wieder auf, und die Befreiung von den Schuhen wird zur Befreiung von einer früheren Lebenssituation und zu einem Neubeginn: »In drückenden Schuhen/ erreichte sie eine Bucht// Ein Seemann befreite ihre Füße/ sie half ihm gegen den Wind zu segeln«.
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Lüneburger Landeszeitung, 05. Dezember 2001 Europa im Blick Der Gedichtband »Lotosfüße« von Xu Pei
Im fernen Osten genießt Lyrik einen hohen Stellenwert. Mitteleuropäische Leser halten sich auf diesem Gebiet allerdings zurück. Xu Pei, vor einiger Zeit als Stipendiatin Gast in Lüneburg, wagt es trotzdem und spannt zugleich einen literarischen Bogen. Der startet in China, ihrem Geburtsland, und reicht bis nach Deutschland, wo sie seit 1988 lebt. Eine Grenzgängerin mit großer Wahrnehmungsgabe: »Lotosfüße«, ihr zweiter Gedichtband, verrät diese Fähigkeit in jedem der 44 Gedichte.
Xu Pei gelingen dichte Reflexionen, die auf kulturelle und soziale (Neu-)Orientierung schließen lassen. China im Kopf, Europa im Blick, das ist ihr zentrales Thema. Bis zum Kern radikal verknappt beschreibt die Autorin eine Wanderung zwischen verschiedenen Identitäten. Es gibt Hinweise auf Irritationen, Annäherungen, Unsicherheiten. Subtil, manchmal auch mit einem leisen Anflug von Selbstironie, setzt Xu Pei karge, aber klare Wegmarkierungen ihres »Weltlaufs«, wie sie es in einem autobiographischen Nachwort nennt. Ohne gefällig zu sein erschießen sich die Gedichte durch ihre starke Bildkraft rasch.
Georg Baselitz, bildender Künstler von internationalem Ruf, hat den Band mit sechs Radierungen ausgestattet und schafft damit eine zweite Ebene. Texte und Grafiken addieren sich zu staunenswerten Zeitzeichen der Seele.
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Neues Rheinland, 01. September 2001 Verse wie hingetupft
Lotosfüße - ein feiner Name für eine Gedichtsammlung, der an gezierte, metrisch gebundene Versfüße denken läßt. Doch es handelt sich um freie Verse, Impressionen, die auf meditative Art wie mit dem Tuschepinsel hingetupft wirken.
Xu Pei, die in Köln lebt und aus China (Kangding) stammt, hat ihren zweiten Gedichtband mit Radierungen von Georg Baselitz in Düsseldorf herausgebracht. Ihre vom Eros und vom Gefühl bestimmten Verse fragen nach der Grenze zwischen zwei Wesen, nach Nähe und Fremdheit, wie sie eine Dame aus dem Osten bei ihrem Gang durch den Westen erfährt. Die Verse sind leichtfüßig und greifen Themen wie Spitzenschuhe und Gangart auf.
Xu Peis poetische Leichtigkeit, die bewunderungswürdig ist, korrespondiert mit der Schwere der Radierungen Baselitz'. Dessen Fußzeichnungen haftet etwas Bodenständiges an, selbst wenn die Füße »auf dem Kopf stehen« oder wenn auch an den Fersen noch Zehen wachsen. Das Rot der Radierungen paßt zum »Lampionrot« der poetischen Stimmungen, die aus Xu Peis Versen Liebesgedichte machen: »Die Entfernung zwischen dir und mir / maß ich täglich / mit eigenen Füßen.« Dem Gedichtband geht ein Motto von Nietzsche voraus: »Das Gute ist leicht, / alles Göttliche läuft / auf zarten Füßen.« Besser als mit diesem Motto kann Xu Peis Lyrik nicht charakterisiert werden. Es wäre zu hoffen, daß der asiatische Ton den zuweilen schwerfälligen Literaturbegriff der Deutschen aufzulockern hilft.
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Barbara Maria Kloos, Kölner Stadt-Anzeiger, 09. August 2001 »Ich will Zucker ins Meer streuen« Portrait der chinesischen Schriftstellerin Xu Pei
Wie Früchte im Bastkorb leuchten mir die zierlichen Schuhe der seit zwölf Jahren in Deutschland lebenden Autorin entgegen, wenn ich ihre Kölner »Pagode aus Worten« betrete. Xu Peis Großmutter, Analphabetin, wurde noch bandagiert, die promovierte Enkelin (Jahrgang 1966) entspricht mit Schuhgröße 35 1/2 auch ohne kosmetischen Eingriff dem Ideal des goldenen Lotosfußes, nach dem ihr neuer Lyrikband benannt ist.
»Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füßen«, hat sie ihm als Nietzsche-Motto vorangestellt und uns damit eine westöstliche Brücke über den Abgrund geschlagen, auf der wir ihre hingetuschte Poesie mit Phantasien füllen können. Ob Xu Pei in Spitzenschuhen durch ihre Kindheit in Kangding tanzt, auf mao- oder taoistischen Pfaden wandelt, an langen Zöpfen herabbalanciert oder in den Spuren verwehter Freier liest: »Ich ziehe es vor / dem Leben / in Ruhe / auf umschatteten Wegen entgegenzukommen.«
Kontemplation und Energie, Spieltrieb und Stille prägen die empfindlichen Idyllen der »Prinzessin im Exil«. Ein Flimmern zwischen Ländern und Kulturen, Mythologie und Märchen, Yin und Yang. Statt großer Töne Demutsgesten, ein weibliches Ich am seidenen Faden, mal rot kostümiert, mal leicht bekleidet und bereit, von einem Magier »zersägt zu werden«. Xu Pei, nach eigener Aussage »heimatlos, kinderlos, familienlos, mannlos und besitzlos« - hat sich ein »Zuhause in der Luft« erdichtet. Ihre Liebe zur romantischen Lyrik war es, die sie zum Studium nach Düsseldorf zog, der Stadt ihres Favoriten Heinrich Heine, dessen subversiver Witz zwischen ihren meditativen Zeilen aufblitzt: »Für ein Paar Reiseschuhe / ließ ich meine Puppen liegen / und fütterte ein Sparschwein // Meine Füße riechen / nach Gummi / Ich suche einen Schuhknecht.«
Doch auch in China, erzählt Xu Pei, wird die Versdichtung der Prosa traditionell vorgezogen. Und wenn der deutsche Idealismus die alte Symbiose von Bild und Text wiederentdeckt hat, so sind in China Schrift- und Zeichenkunst seit Jahrtausenden vereint: »Ein guter Literat kann mit Worten und mit dem Pinsel Bilder malen«, so Xu Pei wehmütig.
Um die fehlende kalligraphische Grazie unserer Buchstabenreihen auszugleichen, läßt sie ihre Bücher von deutschen Malern schmücken. Georg Baselitz hat die »Lotosfüße« illustriert. Im Herbst erscheint der Prachtband »Affenkönig« in Kooperation mit Jörg Immendorf. Eine Hommage an den sagenumwobenen Sun Wu Kong, der einst den indischen Buddhismus nach China geholt haben soll: »Ich bin genauso ein Einzelgänger wie er.«
Xu Pei, die sich, ob vom Kommunismus oder dem Kapital bedrängt, ihren spirituellen Gleichmut erhalten hat, ist eine Meisterin der Solitude, der konsequenten Reduktion. Sie schafft sich Platz zum Atmen, in ihren Lebensräumen wie im Text. Ihre Metaphern funkeln, weil hinter ihnen nicht das Kaufhaus des Westens, sondern das Weiße Papier, die Leere steht: »Der Mann starrt die Frauenschuhe / im Blumenladen an // Jedesmal wenn er weggeht / schaut die Floristin ihm nach // Er verschenkt seine Aufmerksamkeit / Sie ihre violette Orchidee.« Zwei Körper aus Umrißlinien, ohne Volumen und Gewicht, die Bühne bodenlos, der Leser kann sie riechen, betreten kann er sie nicht. Ein Ton, der an die noble Sparsamkeit asiatischen Designs erinnert und doch ohne deutsche Stilmittel - Sprüche, Wortspiele, Komposita - undenkbar wäre. Bis heute habe sie keine gute deutsch-chinesische Übersetzung gelesen, Ideogramm und Alphabet seien einfach nicht kompatibel, meint die Autorin.
Sie selbst schreibt gern in fremden Zungen, zur Zeit italienische Verse in Venedig, und läßt die Stimmen pur nebeneinander stehen: »Ich sage immer, jetzt ist mein deutsches Programm angeschaltet, und dann habe ich mit dem chinesischen gar nichts zu tun.«
Wer mehr als eine Sprache kann, hat mehr als ein Gesicht. Da ihr die Völkerverständigung dennoch am Herzen liegt, hat sie einen bisher, ungedruckten Roman geschrieben, »Long Nü - das Drachenmädchen«, der unsere Vorurteile vom Reich der Mitte korrigieren soll: »Jedes Mal, wenn ich einen Artikel lese, geht es um Katastrophen, Menschenrechtsverstöße, die Unterdrückung der Tibeter, das ist so undifferenziert. Andererseits sind alle chinesischen Berichte über Deutschland zu positiv: wie toll, wie sauber, wie ordentlich. Ich fühle mich berufen, den Deutschen auch die Schönheit Chinas zu vermitteln.«
»Es gibt keine schöne Oberfläche ohne eine schreckliche Tiefe«, noch ein Nietzsche-Zitat. Und wenn die lotoszarte Autorin jetzt in den Fußstapfen August von Platens und Thomas Manns am Canale Grande entlangspaziert, so würden jene die Zeichen der Vergänglichkeit beklagen, Xu Pei aber den Fluß des Lebens feiern, der in der Abendsonne glitzert.
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